Nachgefragt: Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung in der Bankenbranche

Die Bankenbranche wird in vielen Bereichen maßgeblich von der Digitalisierung geprägt. Doch welche konkreten Chancen und Herausforderungen ergeben sich durch den digitalen Wandel für die Banken? Wir haben mit dem Vorstandssprecher der VR-Bank Ravensburg-Weingarten, Arnold Miller, gesprochen und einige interessante Einblicke erhalten.

Herr Miller, was macht denn aus Ihrer Sicht die Bankenbranche im Kontext der Digitalisierung und des digitalen Wandels besonders und vielleicht auch anders zu anderen Branchen?

Im Vergleich zu vielen anderen Branchen wird an den Grundfesten unseres bisherigen Geschäftsmodelles gerüttelt. In unserer langjährigen Geschichte war eine unserer wesentlichsten Säulen immer vor Ort vertreten zu sein. Das bricht uns an einigen Stellen wie ein Kartenhaus zusammen, wenngleich ich glaube, dass wir weiterhin einen Filialbetrieb brauchen und wollen. Nur eben deutlich reduzierter wie bisher. Hier hilft unser aber sicherlich Corona ein großes Stück, weil wir ja alle erleben dürfen, dass vieles online geht, was vorher undenkbar war. Bei uns findet heute schon ein wesentlicher Teil der Beratungen über digitale Medien statt.

Welche konkreten Veränderungen sehen Sie in diesem Zusammenhang für die Banken und gerade auch für die Genossenschaftsbanken in den nächsten fünf bis zehn Jahren?

Ich denke, dass es faktisch keine Geschäftsbereiche geben wird, die nicht von erheblichen Veränderungen betroffen sind. Wir müssen diesen Wandel aktiv aufgreifen und vor allem unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mitnehmen.

Wesentlich ist für mich hier die Frage hinsichtlich Chancen und Risiken durch diese Veränderungen. Da bin ich an manchen Stellen etwas gespalten. Mich beschäftigt, dass ich viele Themen zu Chancen und Risiken gleichermaßen zuordnen kann. Da bin ich mir von der Zuordnung nicht so ganz sicher. Ich mache mal ein praktisches Beispiel: Wenn ich so über das Thema Ressourcen nachdenke, dann weiß ich, das ist einerseits eine betriebswirtschaftliche Chance wegen Kosteneinsparungspotenzial. Das ist eine große Chance und gleichzeitig ist es eine große Herausforderung, weil wir im Zuge der Digitalisierung die Mitarbeiter unserer Organisation mitnehmen müssen. Wahrscheinlich muss man sich damit begnügen, dass man das gar nicht so einseitig in eine Ecke schieben kann, sondern alle Punkte ganzheitlich betrachten muss.

Persönlich bin ich in Summe sehr chancenorientiert unterwegs und versuche im Grunde immer nur halbvolle Gläser zu sehen. Das macht vieles einfacher.

Sie haben die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung schon angesprochen. Wenn Sie jetzt nur an die Chancen denken: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Potentiale und Chancen des digitalen Wandels für die Genossenschaftsbanken?

Ich glaube beispielsweise an eine betriebswirtschaftliche Chance, Ressourcen sinnvoller und wertschöpfender zu verteilen. Im genossenschaftlichen Verbund gibt es viele Initiativen, die mich bei diesem Gedanken sehr ermutigen.
Zum zweiten, was die Kunden anbelangt, würde ich es als Chance für uns als gesamte Organisation begreifen. Allerdings muss diese positive Grundüberzeugung noch bei allen in unserem Verbund ankommen. Hier denke ich vor allem auch daran, zusätzliche Kompetenz neben dem reinen Bankgeschäft, auch in der digitalen Welt zu zeigen. Wir haben da heute schon mehr zu bieten als wir oft selber glauben. Unser BVR, mit der Präsidentin Frau Kolak an der Spitze, ist nach meiner Einschätzung gut positioniert und versucht die genossenschaftliche Bankenwelt bei dieser Ausrichtung mitzunehmen.

Bei diesem Thema gehen mir auch unsere Mitarbeiter durch den Kopf. Wir haben in Zeiten der Pandemie verschiedene Dinge lernen müssen oder dürfen. Unter anderem im Bereich mobiles Arbeiten. Ich glaube, das ist eine Chance für die Mitarbeiter und auch für uns als Organisation, um das Arbeitsumfeld für die Mitarbeiter noch attraktiver zu gestalten.

Ich bleibe dabei. Bei optimistischer Herangehensweise gibt es deutlich mehr Chancen als Risiken.

Und im Gegensatz dazu, was sind für Sie die größten Herausforderungen hinsichtlich des digitalen Wandels?

Am liebsten würde ich gar nicht über irgendeine Herausforderung oder Risiken reden. Ich denke selten in dieser Kategorie. Grundsätzlich ist es ja so, dass die Menschheitsgeschichte von Veränderungen geprägt ist. Wenn dem nicht so wäre, würden wir noch immer in Höhlen um ein Lagerfeuer sitzen. Oder sogar ohne Lagerfeuer, das ja auch mal jemand „erfunden“ hat.

Mir fällt in diesem das Bild des Eisberges ein, bei man nur die Spitze sieht. Der größte Teil ist unter Wasser und vielleicht ist es oft besser, dass man nicht das ganze Ausmaß sieht.

Leider erlebe ich bei vielen Veränderungsprojekten, die wir auch in der Bank initiieren, dass die Sorge der Menschen vor dem vermeintlich Unbekannten sehr groß ist. Ich selber kenne das von mir nicht, weil ich immer sehr offen und neugierig bin. Aber man muss einfach akzeptieren, dass diese Unsicherheit da ist. Neben unseren Mitarbeitern betrifft das aber auch unsere Kunden.

Mit anderen Worten. Menschen mitnehmen und Akzeptanz und Vertrauen schaffen.

Abschließend würde uns noch interessieren, was aus Ihrer Sicht die größten Erfolgsfaktoren sind, um den digitalen Wandel in der Bankenbranche erfolgreich gestalten zu können?

Einer der großen Erfolgsfaktoren ist für mich, bei allen Themen generell, aber auch bei dem digitalen Wandel, einfach loszulaufen, also anzufangen statt endlos überlegen.

Im nächsten Schritt nicht immer an „Altbewährtem“ festhalten, sondern vor allem nicht immer in einer Parallelwelt zu denken so nach dem Motto: „Wir lassen das Alte so weiterlaufen und machen einen digitalen Strang dazu.“ Sondern eher: „Wir lassen das Bisherige ganz weg und machen nur noch das Neue.“

Diesen Sprung schaffen wir an ganz vielen Stellen nicht. Man traut sich nicht konsequent zu entscheiden. Damit kämpfen wir tagtäglich in der Praxis.

Deswegen elementar wichtig: Anfangen, machen und dann konsequent machen.

Und zum Schluss: „Immer an die halbvollen Gläser denken.“

Vielen Dank für das interessante Gespräch!